Inhaltsübersicht
II. Deutsche Einheit vollenden

 

I. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und
Stärkung der Wirtschaft

1. Ziele und Grundsätze der Wirtschafts- und Finanzpolitik

1.1. Abbau der Arbeitslosigkeit

Unser wichtigstes Ziel ist der Abbau der Arbeitslosigkeit.

Die hohe Arbeitslosenzahl von 4,4 Millionen (Jahresdurchschnitt 1998) ist die schwerste politische Erblast, die die alte Bundesregierung hinterläßt.

Die neue Bundesregierung wird alles daran setzen, die Arbeitslosenzahl in den nächsten vier Jahren Schritt für Schritt abzubauen.

Eine starke, wettbewerbsfähige und an Nachhaltigkeit orientierte Wirtschaft ist die Grundlage für Arbeitsplätze, für Wohlstand und für soziale Sicherheit.

Wir wollen eine Erneuerung der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft.

Arbeit und Umwelt gehören untrennbar zusammen. Wir wollen eine zukunftsfähige Politik, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Ziele gleichberechtigt miteinander verbindet. Ziel ist dabei auch die gleichberechtigte, existenzsichernde Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben.

1.2. Sanierung der Staatsfinanzen

Solide Staatsfinanzen sind eine unverzichtbare Grundlage für neue Arbeitsplätze, für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und für soziale Stabilität.

Die alte Bundesregierung hinterläßt eine schwere finanzpolitische Erblast. Der Schuldenstand des Bundes in Höhe von rund 1,5 Billionen DM belastet den laufenden Bundeshaushalt mit Zinsausgaben von rund 90 Milliarden DM. Damit muß der Bund mehr als 26 Prozent seiner gesamten Steuereinnahmen für Zinszahlungen ausgeben. Im Entwurf der alten Regierungskoalition für den Bundeshaushalt 1999 liegt die Nettokreditaufnahme nur sehr gering unter der Summe der Investitionsausgaben. Selbst dies ist nur erreicht worden durch Einmaleffekte und Lastenverschiebungen in die Zukunft. Die hohe Schuldenlast schränkt die finanziellen Handlungsmöglichkeiten des Staates enorm ein. Auch im Bereich der sozialen Sicherungssysteme hinterläßt die alte Bundesregierung große finanzielle Probleme.
 

Die Sanierung der Staatsfinanzen ist eine Hauptaufgabe der neuen Bundesregierung. Wir wollen die Schuldenanhäufung zu Lasten künftiger Generationen verringern.

Dazu gehören die energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, eine große Steuerreform, die sowohl zu sozialer Gerechtigkeit als auch zur Stabilisierung der Staatseinnahmen beiträgt, sowie eine Rückkehr zu Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Die neue Bundesregierung will sozial gerecht sparen und in neue Zukunftsbereiche investieren.

Die schwere finanzpolitische Erblast zwingt die neue Bundesregierung zu einem konsequenten Konsolidierungskurs. Finanzwirksame Vorhaben des Koalitionsvertrages müssen entweder unmittelbar gegenfinanziert oder unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden. Nicht alles was wünschbar wäre, ist gegenwärtig auch finanzierbar.

Erst die Bilanzierung der Finanzpolitik der alten Regierung im Rahmen eines umfassenden Kassensturzes nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung kann endgültige Klarheit über die tatsächliche Lage der Staatsfinanzen erbringen.

Der Schlüssel zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ist die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie eine sparsame Haushaltspolitik, die Spielräume für Zukunftsinvestitionen erst eröffnen kann. Dabei wird die neue Bundesregierung Maßnahmen Vorrang geben, die neue Arbeitsplätze schaffen oder Arbeitsplätze sichern und den Strukturwandel voranbringen.

2. Bündnis für Arbeit und Ausbildung

Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird die neue Bundesregierung alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren. Wir wollen ein Bündnis für Arbeit und Ausbildung.

Gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen werden wir konkrete Maßnahmen vereinbaren, um die Arbeitslosigkeit abzubauen und allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu sichern. Zu diesem Bündnis für Arbeit und Ausbildung haben alle Beteiligten in fairem Geben und Nehmen ihren Beitrag zu leisten. Dabei geht die neue Bundesregierung von folgenden Grundsätzen aus:

  • Gewerkschaften und Unternehmen sind zuständig für eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik und für eine Organisation der Arbeit, die dem Flexibilisierungsbedarf der Betriebe und dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr Zeitsouveränität Rechnung trägt.
  • Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Anstrengungen für Investitionen und Innovation zu verstärken. Wirtschaft und öffentliche Verwaltung stehen in der Pflicht, durch Erhöhung der Lehrstellenzahl jedem Jugendlichen einen qualifizierten Ausbildungsplatz zu geben.
  • Die neue Bundesregierung wird die Rahmenbedingungen schaffen für nachhaltiges Wachstum und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Dazu gehört eine umfassende Steuerreform, die Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und eine Innovationsoffensive in Bildung, Forschung und Wissenschaft.

Beim Bündnis für Arbeit und Ausbildung sollen unter anderem zu folgenden Themen Vereinbarungen gefunden werden:

  • Sicherung einer qualifizierten Ausbildung für alle Jugendlichen
  • Integration erwerbsloser Jugendlicher in den Arbeitsmarkt
  • Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte
  • Flexible und beschäftigungswirksame Organisation der Arbeitszeit, z.B. Teilzeitarbeit, Altersteilzeit sowie Einstiegsteilzeit für Jüngere; beschäftigungswirksamer Abbau von
  • Überstunden; die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit
  • Neuregelung der Anrechnung von Entlassungsabfindungen auf das Arbeitslosengeld
  • Modernisierung der beruflichen Bildung und der Weiterbildung
  • Verbesserte Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital
  • Verstärkung der Branchen- und Regionaldialoge mit dem Ziel, die Innovationsanstrengungen in den Branchen und Regionen zu steigern.

Die neue Bundesregierung wird im Lichte der Ergebnisse des Bündnisses für Arbeit ihre Festlegungen über mögliche politische und gesetzgeberische Maßnahmen hinsichtlich der Sicherung einer qualifizierten Ausbildung für alle Jugendlichen, der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital und der Arbeitszeitpolitik treffen.

3. Offensive zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

Die neue Bundesregierung wird unmittelbar nach Amtsantritt eine Offensive zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit starten. Mit einem Sofortprogramm sollen 100.000 Jugendliche so schnell wie möglich in Ausbildung und Beschäftigung gebracht werden. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt in Ostdeutschland gesetzt.

Im Mittelpunkt des Sofortprogramms steht die Vermittlung in betriebliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Jugendliche, die zur Zeit keine Vermittlungschance haben, sollen durch Qualifizierung auf eine Ausbildung vorbereitet oder in eine sinnvolle Beschäftigung gebracht werden. Zu dem Sofortprogramm gehört auch die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen. Alle Jugendlichen, die länger als sechs Monate arbeitslos sind, sollen einen Ausbildungsplatz, einen Arbeitsplatz oder eine Fördermaßnahme erhalten.

Für die Finanzierung dieses Programms werden vor allem Mittel eingesetzt, die sonst für die Bezahlung der Jugendarbeitslosigkeit ausgegeben werden müßten.

4. Neue Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze

Durch eine sinnvolle Kombination von Angebots- und Nachfragepolitik wird die neue Bundesregierung die Rahmenbedingungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verbessern.

Dazu gehören:

  • eine Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung, die die Binnenkonjunktur nachhaltig stärkt und die Investitionskraft der Unternehmen verbessert
  • die ökologische Modernisierung der Wirtschaft
  • eine ökologische Steuerreform, die die Lohnnebenkosten senkt und zukunftsfähigen Produkten und Technologien zum Durchbruch verhilft
  • eine Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten
  • die Stärkung von Bildung, Forschung und Wissenschaft
  • die Nutzung und Förderung zukunftsfähiger Technologien
  • die Modernisierung des Staates, u.a. mit dem Ziel des Abbaus überflüssiger Bürokratie unter Erreichung von Transparenz und Bürgernähe
  • die entschlossene Fortführung der Finanzmarktgesetzgebung; der Finanzplatz Deutschland soll auch in Zukunft international wettbewerbsfähig sein
  • eine konjunkturgerechte und solide Finanzpolitik mit einer Verstetigung der öffentlichen Zukunftsinvestitionen auf möglichst hohem Niveau
  • eine bessere internationale Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Währungspolitik; dazu wird die neue Bundesregierung gemeinsam mit den europäischen Partnern entsprechende Initiativen ergreifen.

5. Mittelstand, Handwerk und Existenzgründungen stärken

Die neue Bundesregierung wird die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für Mittelstand, Handwerk und Existenzgründungen, für Freiberufler und Selbständige verbessern:

  • Wir werden die Förderung für kleine und mittlere Unternehmen und für Existenzgründungen auf wenige Programme konzentrieren und vereinfachen.
  • Wir werden Voraussetzungen schaffen, um die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern. Wir werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Mobilisierung von Wagniskapital neu gestalten und im Zusammenwirken mit Kapitalgesellschaften, Banken und Versicherungen die Möglichkeiten für Wagniskapitalfonds ausbauen.
  • Wir werden das bewährte duale Ausbildungssystem durch eine flexiblere Gestaltung von Ausbildungszeiten, Ausbildungsordnungen und Ausbildungsinhalten unter den Gesichtspunkten von mehr Betriebs- und Praxisnähe und Effizienz fortentwickeln.
  • Wir wollen den Generationswechsel bei mittelständischen Betrieben erleichtern.
  • Wir werden den Zugang zur selbständigen Tätigkeit im Handwerk erleichtern. Es muß künftig möglich sein, den Meisterbrief nach der Existenzgründung berufsbegleitend zu erwerben. Der große Befähigungsnachweis bleibt Voraussetzung für die Selbständigkeit im Handwerk.
  • Auftrag und Stellung der Industrie- und Handelskammern sowie die daraus resultierende Verwendung der Beiträge werden überprüft.
  • Wir wollen die Innovationsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen stärken. Dazu wird die neue Bundesregierung ein Innovationsprogramm starten, das die schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen in kleinen und mittleren Unternehmen fördert. Die Zusammenarbeit mit den Hochschulen soll erleichtert werden. Die industrielle Gemeinschaftsforschung für kleinere Unternehmen, die keine eigenen Forschungskapazitäten vorhalten können, soll unterstützt werden.
  • Wir wollen prüfen, ob das Insolvenzrecht zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Unternehmen erweitert werden soll, mit welchen Maßnahmen kleinen und mittleren Unternehmen bei Inkasso-Gesellschaften zu günstigen Konditionen verholfen werden kann und wie säumige Zahler zur Zahlung veranlaßt werden können (z.B. über erhöhte Verzugszinsen).

6. Faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt

Die neue Bundesregierung wird unverzüglich und entschlossen gegen illegale Beschäftigung und Lohndumping vorgehen. Dabei werden unter anderem folgende Maßnahmen ergriffen: Die Bußgelder bei illegaler Beschäftigung werden drastisch erhöht, bei besonders schwerwiegenden Fällen sind strafrechtliche Sanktionen vorzusehen. Generalunternehmer sollen künftig für illegal handelnde Subunternehmen haften.

Die neue Bundesregierung wird dafür sorgen, daß das bis August 1999 befristete Entsendegesetz gegen Lohn- und Sozialdumping dauerhaft verlängert und seine Wirksamkeit erhöht wird.

Die neue Bundesregierung wird gegen den Mißbrauch geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und gegen Scheinselbständigkeit vorgehen.

7. Aktive Arbeitsmarktpolitik: Arbeit statt Arbeitslosigkeit

Ziel der neuen Bundesregierung ist es, Arbeitslose so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen. Die Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt hat Vorrang. Der Grundsatz unserer aktiven Arbeitsmarktpolitik heißt: Arbeit statt Arbeitslosigkeit.

Die Arbeitslosigkeit kostet rund 170 Milliarden DM im Jahr. Die neue Bundesregierung wird Mittel, die bisher zur Bezahlung von Arbeitslosigkeit ausgegeben wurden, zur Finanzierung von Qualifizierung und Arbeit einsetzen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit muß die aktive Arbeitsmarktpolitik konsequent fortgesetzt werden.

Die neue Bundesregierung wird das Arbeitsförderungsrecht wirksamer ausgestalten: Es werden soviel Mittel wie möglich von passiven in aktive Leistungen umgeschichtet. Die Beschäftigung von Frauen hat dabei ein besonderes Gewicht. Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird stärker mit der Strukturpolitik in den Regionen verzahnt.

Die neue Bundesregierung wird Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Beschäftigungschancen des Dienstleistungssektors besser genutzt werden. Dazu werden Haushaltsdienstleistungen und private Dienstleistungsagenturen gefördert.

8. Tarifautonomie bewahren – Arbeitnehmerrechte sichern – Mitbestimmung stärken

Die neue Bundesregierung wird umgehend dafür sorgen, daß unsoziale Einschnitte bei den Arbeitnehmerschutzrechten korrigiert werden.

Die neue Bundesregierung wird Fehlentscheidungen wie beim Kündigungsschutz, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und beim Schlechtwettergeld korrigieren und die Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien sichern.

Die neue Bundesregierung wird die Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie in Betrieb und Verwaltung im Interesse der Beteiligung und Motivation der Beschäftigten stärken und an die Veränderungen in der Arbeitswelt anpassen. Vorrangig ist dazu eine grundlegende Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes (Betriebsbegriff, Arbeitnehmerbegriff, Telearbeit, Vereinfachung des Wahlverfahrens). Dazu kommen muß die Sicherung und Weiterentwicklung der qualifizierten Mitbestimmung in den Unternehmen und in Europa (Europäische Betriebsräte, Europäische Aktiengesellschaft). Darüber hinaus wollen wir die Tarifautonomie stärken, vor allem durch ein Klagerecht der Verbände und eine einfachere Möglichkeit zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung.

Inhaltsübersicht
II. Deutsche Einheit vollenden